Datenschutzrechtliche Anforderungen an Videoüberwachung auf dem Firmengelände

1. Rechtsgrundlagen

Die Videoüberwachung durch Unternehmen ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1, Nr. 2 DSGVO, da auch Beschäftigte, Kunden und Servicepartner identifizierbar sind.
Die wesentlichen Rechtsgrundlagen sind:

  • Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO: berechtigtes Interesse (z. B. Schutz des Eigentums, Zutrittskontrolle, Wahrung von Sicherheit).
  • § 26 Abs. 1 BDSG: soweit Beschäftigte betroffen sind, nur wenn sie für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist (z. B. Schutz vor Straftaten, Zutrittskontrolle).
  • Art. 5 Abs. 1 DSGVO: Grundsätze der Verarbeitung (Datenminimierung, Zweckbindung, Speicherbegrenzung, Transparenz).

Eine Interessenabwägung ist zwingend erforderlich: Die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen (Mitarbeiter, Kunden, Monteure, Lieferanten) dürfen nicht überwiegen. Private Bereiche (z. B. Pausenräume, Sanitäranlagen) dürfen niemals überwacht werden.

2. Zulässigkeit der Installation von Kameras

  • Keine flächendeckende Überwachung: Kameras dürfen nicht „überall“ angebracht werden. Eine Überwachung ist nur an sicherheitsrelevanten Punkten zulässig, wo ein berechtigtes Interesse konkret nachweisbar ist (z. B. Warenannahme, Warenausgabe, Lagerbereiche, Ein- und Ausgänge).
  • Parkplätze: Auch wenn die Flächen bereits geschwärzt sind, muss regelmäßig überprüft werden, dass keine Rückschlüsse auf Kennzeichen oder Personen möglich sind.
  • Trennung verschiedener Gesellschaften: Es ist genau zu prüfen, wer Verantwortlicher ist (Art. 4 Nr. 7 DSGVO).
  • Bei geteiltem Gelände mit getrennter Kamerainstallation: jede Gesellschaft ist allein verantwortlich.
  • Bei gemeinsamer Nutzung der Bilder: gemeinsame Verantwortlichkeit nach Art. 26 DSGVO mit schriftlicher Vereinbarung.

3. Speicherung und Aufbewahrungsdauer

  • Grundsatz: so kurz wie möglich.
  • Übliche Praxis: max. 72 Stunden Speicherung, wenn keine Vorfälle eingetreten sind.
  • Verlängerung (z. B. 7–10 Tage) nur, wenn ein konkretes Sicherheitsinteresse nachweisbar ist (z. B. Wochenendbetrieb, Einbruchsrisiko).
  • Längere Speicherung nur bei Vorfällen (z. B. Diebstahl, Unfall) und nur solange, wie zur Aufklärung oder Durchsetzung von Ansprüchen erforderlich.

Rechtsgrundlage: Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO (Speicherbegrenzung).

4. Zugriff auf die Aufzeichnungen

  • Zugriff nur für einen eng begrenzten, autorisierten Personenkreis (z. B. Leitung Logistik, IT-Sicherheitsbeauftragter, Geschäftsführung).
  • Live-Zugriff: ebenfalls nur für autorisierte Personen, die einen sachlichen Grund haben (z. B. Steuerung der Warenabholung, Gefahrenabwehr).
  • Dokumentation der Berechtigungen: schriftlich festlegen, wer Zugriff hat, und technische Maßnahmen (z. B. Passwortschutz, Protokollierung von Zugriffen).
  • Keine Weitergabe an Dritte ohne Rechtsgrundlage (z. B. Polizei nur bei strafrechtlichen Ermittlungen, Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO).

5. Transparenzpflichten

  • Hinweisschilder allein reichen nicht. Zusätzlich sind Betroffene nach Art. 13 DSGVO zu informieren:
  • Verantwortlicher
  • Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten
  • Zwecke und Rechtsgrundlage der Überwachung
  • Speicherdauer
  • Rechte der Betroffenen (Auskunft, Löschung, Widerspruch, Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde).
  • Praktisch: Verweis auf eine ausführliche Datenschutzerklärung (z. B. QR-Code auf dem Schild).

6. Weitere organisatorische und technische Maßnahmen

  • Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) nach Art. 35 DSGVO prüfen: erforderlich, wenn ein hohes Risiko für Rechte und Freiheiten besteht (regelmäßig bei großflächiger oder systematischer Überwachung öffentlich zugänglicher Bereiche).
  • Technische Sicherheit: verschlüsselte Speicherung, Zugriffsschutz, regelmäßige Prüfung der Systeme.
  • Löschkonzept: automatisierte Löschung nach Ablauf der Speicherfrist.
  • Betriebsvereinbarung (bei Mitarbeiterüberwachung): zwingend erforderlich, wenn ein Betriebsrat existiert (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG).

7. Zusammenfassung der Kernpflichten

  • Kameras nur dort installieren, wo ein konkretes, berechtigtes Interesse vorliegt.
  • Speicherfrist max. 72 Stunden, Verlängerung nur ausnahmsweise begründbar. Weitere Hinweis dazu siehe unten.
  • Zugriff nur für einen eng begrenzten, dokumentierten Personenkreis.
  • Transparenz sicherstellen (Hinweise, Datenschutzerklärung).
  • Prüfung einer DSFA bei neuen Installationen.
  • Klärung der Verantwortlichkeit zwischen den beteiligten Gesellschaften (Art. 26 DSGVO).
  • Umsetzung technischer und organisatorischer Maßnahmen (Art. 32 DSGVO).

8. Besonderheit: Einsatz von Dummy-Kameras (Attrappen)

  • Rechtliche Bewertung: Auch wenn eine Kamera gar nicht aufzeichnet, kann bereits der Eindruck einer Videoüberwachung eine Verhaltensbeeinflussung darstellen.

Gerichte (z. B. LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 9.6.2016 – 5 Sa 29/15) haben entschieden, dass selbst eine Kameraattrappe unzulässig sein kann, wenn dadurch Beschäftigte in ihrem Verhalten beeinflusst oder in ihrer Persönlichkeitsfreiheit eingeschränkt werden.

  • Für Beschäftigte (§ 26 BDSG): Dummy-Kameras sind in der Regel unzulässig, da der Überwachungsdruck besteht, auch wenn keine Speicherung stattfindet.
  • Für Kunden oder Besucher (Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO): Es besteht ebenfalls das Risiko, dass Betroffene sich beobachtet fühlen und ihr Verhalten ändern („Überwachungsdruck“).
  • Transparenzproblem: Da Attrappen keine Daten verarbeiten, kann streng genommen keine Datenschutzerklärung über eine „Verarbeitung“ erfolgen – das Risiko liegt hier in der Täuschung und im Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.

Praxisempfehlung:

  • Dummy-Kameras sind nicht empfehlenswert und sollten im Unternehmenskontext vermieden werden.
  • Wenn dennoch Attrappen genutzt werden, dann nur an Stellen, die nicht auf Beschäftigte oder ständig anwesende Personen wirken (z. B. Gebäudefassade zum Abschreckungseffekt).
  • Wichtig: Bei Attrappen keine Hinweisschilder mit DSGVO-Bezug verwenden, da tatsächlich keine Datenverarbeitung stattfindet. Das wäre irreführend.

Weiterer wichtiger Hinweis:


Die DSGVO macht auch keine Unterscheidung, ob Betroffene mit den datenschutzrechtlichen Anforderungen vertraut sind oder nicht. Videoüberwachung betrifft jedermann, egal ob Kunden, Lieferanten, Monteure, Beschäftigte oder Besucher – also auch Personen, die keinerlei rechtliche oder technische Vorkenntnisse haben.

Das bedeutet praktisch:

  • Transparenzpflichten (Art. 12 Abs. 1 DSGVO): Informationen müssen „in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache“ bereitgestellt werden.
  • Damit reicht kein juristisch-technischer Fachtext.
  • Jeder muss die Hinweise verstehen können.
  • Hinweisschilder sollten daher so gestaltet sein, dass sie sofort verständlich sind: klare Symbole, kurze Texte, Verweis auf Details (z. B. QR-Code oder URL). Wir haben dazu ein Beispiel im DSMS.
  • „Einfache Sprache“: Statt „Verarbeitung personenbezogener Daten zur Wahrung berechtigter Interessen gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO“ besser „Wir überwachen diesen Bereich mit Videokameras, um unser Gelände und unsere Mitarbeiter zu schützen.“

Juristischer Kern:

  • Art. 12 Abs. 1 DSGVO verpflichtet ausdrücklich dazu, die Informationspflichten auch verständlich für Laien zu erfüllen.
  • Verstöße (zu komplizierte oder unvollständige Hinweise) können als Verletzung der Transparenzpflicht sanktioniert werden (Art. 83 Abs. 5 lit. b DSGVO).

Weitere Hinweis zur maximalen Aufzeichnungsdauer:

Es gibt (Stand September 2025) bereits mehrere gerichtliche Entscheidungen zur zulässigen Aufbewahrungsdauer von Videoaufzeichnungen.

Ein allgemeingültiges „Gesetz“ mit einer fixen Frist gibt es nicht, aber die Rechtsprechung und die Aufsichtsbehörden haben klare Leitlinien entwickelt:

1. Orientierung durch Rechtsprechung

  • OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.09.2014 – 11 ME 181/13
    Das Gericht hat klargestellt, dass eine anlasslose Speicherung über 48 Stunden hinaus in der Regel unverhältnismäßig ist, wenn kein konkreter Zweck (z. B. Aufklärung von Straftaten) vorliegt.
  • VGH Hessen, Beschl. v. 23.06.2015 – 6 A 1262/14.Z
    Bestätigt: Eine längere Speicherung ist nur zulässig, wenn ein konkretes Sicherheitsinteresse nachweisbar ist.
  • LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 9.06.2016 – 5 Sa 29/15
    Auch im Beschäftigtenkontext gilt: eine kurze Speicherdauer (48–72 Stunden) ist das Maß der Dinge. Längere Aufbewahrung führt regelmäßig zur Unzulässigkeit.

2. Orientierung durch Aufsichtsbehörden

  • Datenschutzkonferenz (DSK), Orientierungshilfe Videoüberwachung (2020):

„Regelmäßig ist eine Speicherdauer von 48 bis 72 Stunden ausreichend. Längere Speicherungen sind nur bei besonderen Umständen (z. B. Wochenende, Betriebsferien) gerechtfertigt.“

  • LfDI Baden-Württemberg, FAQ Videoüberwachung:

„Eine pauschale Speicherung von 10 oder 14 Tagen ist unzulässig. Erforderlich ist eine enge Zweckbindung und regelmäßige Prüfung.“

3. Fazit für die Praxis

  • 48 bis maximal 72 Stunden ist durch Rechtsprechung und Behördenpraxis anerkannt.
  • Ausnahmen: bis zu 7 Tage sind in Einzelfällen möglich (z. B. bei selten besetzten Betriebsstätten oder Wochenendbetrieb), aber nur mit dokumentierter Begründung (Art. 5 Abs. 2 DSGVO – Rechenschaftspflicht).
  • Längere Speicherung nur zulässig, wenn ein Vorfall eingetreten ist und die Aufnahmen zur Beweissicherung benötigt werden.